Qualität statt Quantität

Alle fünf Sekunden fällt ein Wassertropfen in die mit Wasser gefüllte Petrischale. Die Fließbewegung, die der Wassertropfen verursacht, wird mithilfe von Glycerin und einer Kameraprojektion visualisiert und ist gut zu erkennen. Konzentrisch, vom Tropfmittelpunkt aus-gehend, bilden sich verschiedene Muster in der Schale. Sie erinnern entfernt an eine Mischung aus Mondkratern, Blättern und Blüten. „Mit dieser sogenannten Tropfbildmethode können wir die Fließeigenschaften von Wasser darstellen und Rückschlüsse auf die Qualität des Wassers ziehen“, sagt Dr. Manfred Schleyer. Der Biologe und Chemiker ist Leiter des Instituts für Strömungswissenschaften in Herrischried im Landkreis Waldshut unweit der Schweizer Grenze. Bereits seit 1961 gehen hier Forscherinnen und Forscher der Frage nach, wie man sich den Eigenschaften dieses besonderen Stoffs über die gängigen Methoden hinaus nähern kann.

QUALITÄT STATT QUANTITÄT
Gegründet wurde das Institut, als die Umweltverschmutzung mit Schaumbergen in den Flüssen erstmals besonders augenfällig wurde und das Bedürfnis nach dem Erhalt von sauberem und lebensförderlichem Wasser entstand. „Mit den üblichen chemischen Analyseverfahren wie Gaschromatografie und Massen spektrometrie messen wir die quantitative Konzentration von fremden Stoffen, die natürlicherweise nicht im Wasser vorkommen“, erläutert Manfred Schleyer, „unsere Fragestellung gilt aber auch Verfahren, die qualitative Aussagen ermöglichen.“ 

Im Tropfbildverfahren nämlich wird das Wasser zu Bewegungen angeregt, die Rückschlüsse über seine innere Beshaffenheit ermöglichen. Schleyers Forscherteam und dessen Vorgänger haben festgestellt, dass Wässer sich unterschiedlich bewegen, je nachdem, welchen Prozess sie durchlaufen haben. 

Stroeemungsmuster
Je nach Reinheit des Wassers bilden sich im Test unterschiedliche Strömungsmuster.

PROJEKTDETAILS

Ein wandlungsfähiger Stoff

Ein Beispiel: Das Wasser aus der Quelle des Strömungsinstituts hat eine anerkannt gute Qualität; die ist chemisch und mikrobiologisch nachweisbar und entspricht vollumfänglich den Maßgaben der deutschen Trinkwasserverordnung. Auch die Herrischrieder Bürgerinnen und Bürger, die regelmäßig zur Quelle kommen, um sich Wasser abzufüllen, bestätigen den guten Geschmack. Wird das Wasser jedoch über Nacht stehen gelassen, so verliert es scheinbar an Qualität und wird als schal und abgestanden bewertet. „Es scheint also Parameter zu geben, die über die Inhaltsstoffe hinaus-gehen“, meint Schleyer, denn das Wasser habe sich in zwölf Stunden inhaltlich ja nicht verändert. „Wenn Sie frisches Quellwasser im Tropfbild untersuchen, fließt das sehr intensiv, differenziert, mit vielen unterschiedlichen Bewegungen – und vor allem abwechslungsreich. Mäßiges Wasser fließt ausdrucksärmer und mit Wiederholungen, also Formen im Tropfbild, die wieder und wieder auftauchen. Bei schlechtem Wasser gibt es nur eine Bewegung, die sich wiederholt. Wir führen auch regelmäßig mit verschiedenen Wässern sensorische Prüfungen mit Probanden durch, Blindverkostungen sozusagen. Dabei lassen sich selbst durch ungeübte Verkoster zumeist drei Kategorien feststellen: gutes Wasser, mäßiges Wasser und schlechtes Wasser. Diese lassen sich dann oft auch wissenschaftlich erhärten.“

Quellwasser hat andere Fließeigenschaften als Leitungswasser.  Quellwasser hat andere Fließeigenschaften als Leitungswasser.

Das Quellwasser hat also am nächsten Tag andere  Fließeigenschaften. Das heißt, dass es Eigenschaften gibt, die die Forscher bewerten können, die über die quantitativen Parameter hinausgehen. Daher sind sie stets auf der Suche nach Methoden, die es erlauben, eine wissenschaftlich fundierte Qualitätsaussage auf einer anderen Ebene zu treffen. 

Glas statt Plastik

Die Fließeigenschaften von Wasser verändern sich aber nicht nur mit der Zeit, sondern vor allem durch Fremdstoffe. „Beim Trinkwasser werden die Grenzwerte ja wegen der mikrobiellen und chemischen Belastung immer weiter heraufgesetzt. Dieser Qualitätsverlust zeigt sich in der Bewegung im Tropfbild“, so Schleyer. Auch die Behältnisse sind nicht außer Acht zu lassen. Die Weichmacher in PET-Flaschen finden Wissenschaftler bereits in der chemischen Analyse. Eine Glasflasche ist für sie optimal für die Aufbewahrung; aber mit einem Verschluss ohne negative chemische Einflüsse, denn die Dichtungen im Schraubverschluss sind oft eine nicht zu unterschätzende Kontaminationsquelle. 

Auch das Behältnis hat Auswirkungen auf die Wasserqualität.

 

 

 

 

Auch das Behältnis hat Auswirkungen auf die Wasserqualität.

Das Unsichtbare sichtbar machen

Was passiert nun genau im Tropfbild? In der Petrischale befinden sich 17,5 Milliliter des zu untersuchenden Wassers, gemischt mit 2,5 Millilitern Glycerin. Der Tropfen, der von oben in die Schale fällt, besteht aus Standardisierungsgründen aus destilliertem Wasser und löst die Fließbewegung in der Schale die durch das Glycerin verlangsamt wird. Gleichzeitig verändert sich die Lichtbrechung und macht so das vormals Unsichtbare (mithilfe der sogenannten Schlierenoptik) für das menschliche Auge sichtbar. Hinzu kommen immer gleiche Raumbedingungen, wie Luftfeuchtigkeit und Temperatur. 40 Tropfen bilden eine Serie und zeigen eine Entwicklung, die in etwa im mittleren Drittel der Reihe die größte Strö-mungsintensität aufweist und zur Bewertung herangezogen wird. 

Bei Bio-Mineralwasser anerkannt

Dass die Forschung des Strömungsinstituts interessante Erkenntnisse liefert, hat sich  herumgesprochen: Regelmäßig lassen Hersteller von Bio-Mineralwasser ihre Produkte in Herrischried untersuchen, denn in deren Qualitätsvorschriften sind besondere Methoden zur Qualitätssicherung vorgesehen – die Tropfbildmethode ist also inzwischen ein hilf reiches Verfahren für die deutsche Lebensmittelbranche.

Wasser - eine Bewusstseinsfrage?

„Wir haben heute nur 20 Zentimeter Bewusstsein  für Wasser: vom Wasserhahn bis zum Abfluss“, sagt Thomas Hoffmann, zusammen mit Manfred Schleyer auch Vorstand des Trägervereins. Wichtig ist ihm, dass sich die Menschen den größeren Kreislauf vergegenwärtigen und bewusster mit Wasser umgehen. Denn beeinträchtigtes Wasser wird von den Wasser-versorgern verdünnt, mit der Folge, dass das Wasser ins gesamt schlechter wird. Ideal sei in der Theorie eine Trennkanalisation, die das Regenwasser vom Schmutzwasser getrennt ableite. 
 

Was jeder Einzelne tun kann?

„Am besten so wenig wie möglich verunreinigen“, erklärt Schleyer, „denn  wir bekommen manche Substanzen nur schwer wieder aus dem Wasser heraus, wie die aktuelle Diskussion  um PFAS zeigt, eine Gruppe von chemischen Verbindungen, die aufgrund ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften in einer Vielzahl von  Produkten wie Teflonpfannen, wasserabweisenden Textilien, Schaumstoffen, Feuerlöschschäumen und Verpackungen verwendet wird.“ Das Strömungsinstitut selbst hat eine lange Tradition nicht nur im Erforschen, sondern auch im Umgang mit Wasser. Das Waschmittel der Firma Sonett ist zum Beispiel nach Erfahrungen im  Tropfbild entstanden. Der Unternehmensgründer Johannes Schnorr war vor 50 Jahren Mitarbeiter im Institut und entwickelte aus Sorge um die Qualität unseres Trinkwassers das Prinzip des Waschens im Baukastensystem. Er hatte bei Tropfbilduntersuchungen von Trinkwasser nicht abbaubare Waschmittelreste gefunden und aktiv an einer Lösung geforscht. Heute sind die Produkte weltweit im Biofachhandel zu finden. 

Und zum Thema Wasser als Nahrungs- und Genussmittel?

Der Rat der Experten zum Abschluss lautet: „Abwechslung tut in jedem Bereich gut, das sollten wir auch beim Wasser berücksichtigen. Man sollte schauen, welches Wasser was mit einem macht. Also auspro-bieren und entdecken.“