Ein Ort der Begegnung und des Lernens

Phönix aus der Asche: Wie ein alter Schafstall neue Perspektiven eröffnet

In der Nacht zum 8. November 2017 loderten die Flammen über dem Randecker Maar auf der Schwäbischen Alb. Das Feuer verschlang den Alten Schafstall, ein denkmalgeschütztes Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, bis auf die Grundmauern. Was für viele ein tragischer Verlust historischer Bausubstanz war, entpuppte sich für die Jugendhilfeeinrichtung Ziegelhütte als Chance für einen Neuanfang – sowohl architektonisch als auch pädagogisch.

Die Ziegelhütte ist kein gewöhnliches Jugendheim. Rund 40 junge Menschen mit sozialem und emotionalem Förderbedarf – früher hätte man sie „schwer erziehbar“ genannt – finden hier nicht nur ein Zuhause, sondern auch eine Perspektive für ihr weiteres Leben. Hendrik van Woudenberg, seit fast zwei Jahrzehnten Geschäftsführer der Einrichtung, erklärt das Konzept: „Gemäß unserem Leitbild 'Leben, lernen, arbeiten – alles unter einem Dach' bieten wir den Jugendlichen eine ganzheitliche Betreuung. Sie gehen hier zur Schule, leben in Wohngruppen und arbeiten in unseren Werkstätten.“

Der Wiederaufbau des abgebrannten Alten Schafstalls fügt sich nahtlos in dieses pädagogische Konzept ein. Van Woudenberg sieht darin eine einmalige Chance: „Die zweite Chance für den alten Schafstall ist auch eine große Chance für unsere jungen Menschen. In den letzten drei Jahren haben 25 bis 30 Jugendliche am Neubau mitgewirkt und so wertvolle Erfahrungen für ihre persönliche und berufliche Entwicklung gemacht.“

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Vom Brandopfer zum Leuchtturmprojekt

Die Geschichte des Alten Schafstalls liest sich wie ein Bilderbuch der Widerstandsfähigkeit. Schon vor dem verheerenden Brand 2017 hatte das Gebäude eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Jahrzehntelang stand es ungenutzt der Witterung ausgesetzt, bis es 2015 unter der Leitung von van Woudenberg erstmals renoviert wurde. Doch das Schicksal hatte andere Pläne.

„Als dann 2017 alles abbrannte, war das natürlich ein Schock“, erinnert sich van Woudenberg. „Aber wir haben schnell erkannt, dass wir daraus etwas Positives machen können.“ Der Neubau bot die Möglichkeit, moderne Standards mit traditionellem Handwerk zu verbinden. Das Ergebnis ist beeindruckend: Ein Strohballenhaus in Holzständerbauweise, das sogar die Energieeffizienzklasse 40 erreicht.
 

Mehr Informationen zur Jugendhilfe Ziegelhütte finden Sie hier: www.jugendhilfe-ziegelhuette.de

PROJEKTDETAILS

Innovation trifft Tradition

Bei einem Rundgang durch das neue Gebäude wird schnell klar: Hier wurde an alles gedacht. Van Woudenberg zeigt stolz auf die großen Fensterflächen: „Wir sind froh, dass wir nun vor allem bei der Innengestaltung des Gebäudes deutlich flexibler sind als vor sieben Jahren. So konnten wir alles wesentlich heller gestalten.“

Doch der Denkmalschutz hatte auch hier ein Wörtchen mitzureden. Die Lösung: besondere Fensterläden mit „Querlattung“, die den Vogelschutz gewährleisten und gleichzeitig für ausreichend Licht sorgen. „Das ist für mich auch eine gute Lösung“, kommentiert van Woudenberg zufrieden.

Im Erdgeschoss finden sich ein Seminarraum und ein großer Mehrzwecksaal, der über 100 Personen fasst und auch für externe Veranstaltungen genutzt werden kann. Das Obergeschoss beherbergt die Verwaltung der Jugendhilfe, die zuvor unter sehr beengten Bedingungen arbeiten musste.

Mehr als nur ein Gebäude

Doch der neue Alte Schafstall ist mehr als die Summe seiner architektonischen Merkmale. Er ist ein Ort der Begegnung, des Lernens und der persönlichen Entwicklung. Dies spiegelt sich auch in den Aussagen der Jugendlichen wider, die am Projekt beteiligt waren.

Joshua, 16 Jahre alt, hat hier seine Berufung gefunden: „Ich habe viele praktische Erfahrungen sammeln können: beim Dachdecken, Anbringen von OSB-Platten, Stuckateursarbeiten, Holzkonstruktionen und so weiter. Hier habe ich meinen Beruf gefunden: Ich werde Zimmermann und beginne zum 1. September 2024 meine Ausbildung in Laichingen.“

Für den 18-jährigen Oskar ist der Schafstall zu einem Ort des Stolzes geworden: „Ich bin stolz hier reinzulaufen. Das ist mein Hauptgefühl. Ich habe die Treppe vom ersten Obergeschoss ins Dachgeschoss gebaut. Bei den Kulturtagen im Alten Schafstall habe ich im Bistro mitgearbeitet. Ich bin glücklich, dabei gewesen zu sein, wie alles entstanden ist!“

Kunst als Spiegel der Seele

Ein besonderes Highlight des neuen Gebäudes ist eine Ausstellung, die die Jugendlichen in den Mittelpunkt stellt. Großformatige Porträts, gemalt und fotografiert, schmücken die Wände. Van Woudenberg erklärt die Idee dahinter: „Es ging nicht darum, einfach Passbilder zu machen. Die Künstlerin und der Fotograf haben versucht, etwas vom Wesen dieser Personen auszudrücken.“ Auf einem Foto sieht man eine junge Frau, auf deren Armen Narben von Schnittwunden zu sehen sind, die sie sich selbst zugefügt hat. Sie blickt direkt in die Kamera und scheint sagen zu wollen: „Ja, das bin ich. Auch das ist ein Teil von mir.“

Die Bilder sind auch Ausdruck eines neuen Selbstwertgefühls, das die Jugendlichen durch ihre Arbeit am Schafstall gewonnen haben. Van Woudenberg erzählt von einem Mädchen, dessen Porträt das Interesse eines Schmuckhändlers aus Stuttgart weckte: „Sie war so glücklich, dass sie gefragt wurde, dass ihr Bild in Stuttgart aufgehängt werden sollte. Das gibt so Auftrieb, wichtig zu sein, gesehen zu werden.“

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Blick in die Zukunft

Mit der Fertigstellung des Alten Schafstalls eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Ziegelhütte. Van Woudenberg denkt bereits weiter: „Die Idee ist, dass wir diese Räume nicht nur für uns verwenden, sondern eben auch für andere Institutionen aus der Region, zum Beispiel gemeinnützige Vereine, die eine Jahreshauptversammlung haben, Firmenfeiern oder -klausuren, wir hatten aber auch schon Anfragen für ein Adventsingen.“

Diese Öffnung nach außen ist Teil einer größeren Vision. Van Woudenberg betont: „Mir war es immer wichtig, dass wir nicht ein Inselchen der Glückseligen sind. Ich habe immer versucht, die Richtung zu eröffnen, habe den Gemeinderat eingeladen, bin im Gespräch mit Unternehmen.“

Der Alte Schafstall steht somit symbolisch für den Weg, den die Ziegelhütte einschlägt: Verwurzelt in der Region, offen für Neues und immer mit dem Ziel, jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Aus der Asche des alten Gebäudes ist nicht nur ein neuer Schafstall entstanden, sondern ein Leuchtturm der Hoffnung für all jene, die hier einen Neuanfang wagen.