Dass die Natur uns guttut, ist eigentlich eine Binsenweisheit. Immer mehr Forschende wollen es nun aber genauer wissen: Wie genau beeinflusst uns die Natur und was können wir tun, um ihre therapeutische Wirkung noch besser zu nutzen? Eine von Ihnen ist die transdisziplinäre Forscherin Kelly Baldwin Heid aus dem US-Bundesstaat Michigan. Derzeit führt sie ein vielversprechendes Projekt an der Universität Freiburg durch.
Es ist der Nachmittag des 30. März 2023. In der Freiburger Engelbergerstraße startet das Programm „Freiburg packt an“. Dabei bepflanzen inzwischen mehr als 450 Patinnen und Paten einzelne „Baumscheiben“ – so heißen die kleinen Grünflächen um die Straßenbäume herum. Das trägt zur ökologischen und artenreichen Aufwertung der kleinen Grünflächen bei. Außerdem bieten die Pflanzen einen wichtigen Lebensraum für Insekten in der Stadt und halten den Boden für die Bäume feucht.
Gesundheit und Naturerleben sind eng verknüpft
Das ist gut für Flora und Fauna – aber auch für den Menschen. Denn die Wissenschaft hat herausgefunden, dass allein schon Pflanzen vor der eigenen Haustür das Risiko für Depressionen senken. Gerade bei psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen kann die Natur präventiv oder therapeutisch eingesetzt werden. Verschiedene Untersuchungen zeigen:
- Natur in der Stadt, wie Parks, Bäume und städtisches Grün, hat positive Effekte auf die Psyche von Stadtbewohnern. Studien belegen z.B., dass Kinder, die regelmäßig in Parks gehen, weniger aggressiv sind und sich intellektuell besser entwickeln.
- Der tägliche Aufenthalt in der Natur, z.B. ein Spaziergang von 30 Minuten, erhöht die Lebenszufriedenheit.
- Lebendige, struktur- und artenreiche Natur wirkt sich positiver aus als monotone Landschaften. Offene, überschaubare Landschaften haben eine hohe „Erholungseignung“.
- Naturgestützte Therapie, z.B. mit Tieren, kann bei Depressionen und Traumafolgestörungen helfen. Sie ist teils wirksamer als Standardtherapien.
- Klima- und Umweltzerstörung können negative Emotionen bis hin zu Ökodepressionen auslösen. Intakte Natur reduziert dagegen Ängste.
- Städte sind ein Risikofaktor für die psychische Gesundheit, z.B. in Form eines höheren Risikos für Schizophrenie. Experten raten daher, dass Stadtentwicklung Naturaspekte einbeziehen sollte.
- Naturschutz ist Selbstfürsorge, da Naturkonsum allein nicht ausreicht. Ein Engagement für die Natur wie es in Freiburg stattfindet, stärkt die Verbundenheit.
PROJEKTDETAILS
Gärtnern auf Rezept?
In Großbritannien zum Beispiel hat man die Vorteile erkannt; dort gibt es bereits „grüne Verschreibungen“ vom Arzt, also verordnetes Spazierengehen oder Gärtnern auf Rezept. Ebenso in Kanada und in anderen angelsächsischen Ländern, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Naturbasierte Verschreibung („Nature-based prescribing“, NBP) nennt sich das im Fachjargon oder auch „Green Social Prescribing". Es handelt sich dabei um eine Möglichkeit für Gesundheitsfachkräfte, Menschen mit naturbasierten Aktivitäten in Verbindung zu bringen, um sie praktisch, sozial und emotional zu unterstützen. Diese Angebote sind so erfolgreich, dass sich die Akteure inzwischen zur „Global Social Prescribing Alliance“ zusammengeschlossen haben.
„Planetary Health“ als Ansatz
In diese Richtung geht auch die Forschungsarbeit von Kelly Baldwin Heid. Auch sie möchte untersuchen, welche Rahmenbedingungen es für eine „Naturrezeptierung“ im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes braucht. „Wir nennen das Planetary Health – also die Gesundheit von Mensch und Natur als ein System, das sich gegenseitig beeinflusst und im Idealfall für das Wohlergehen beider Seiten vorteilhaft ist“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Die Gesundheit der Menschen hängt also von der Gesundheit der Natur ab und umgekehrt. Da setzt unsere Untersuchung an.“ Im Rahmen ihrer Studie, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Instituten der Universität Freiburg und der Stadtverwaltung durchgeführt wird, geht sie unter anderem den Fragen nach, wie die Bepflanzung von Baumscheiben die Biodiversität beeinflusst und welchen Einfluss Gärtnern auf das Wohlbefinden und die Naturverbundenheit hat.
Gut Ding will Weile haben
Gärtnern auf Rezept wird es in Deutschland allerdings erstmal nicht geben, da keine randomisierten kontrollierten Studien zu diesem Thema vorliegen. Hausärzte haben dennoch die Möglichkeit, eine solche Tätigkeit ihren Patienten zu empfehlen. Im Rahmen des Freiburger Forschungsprogramms übernehmen die Teilnehmenden für ein Jahr die Pflege einer Baumscheibe in ihrer Nähe, indem sie den Bereich um einen Stadtbaum bepflanzen und pflegen. Die Auswirkungen dieser Empfehlungen werden untersucht und ausgewertet. Die Teilnahme steht unabhängig von den Beschwerden oder der Erkrankung jedem offen, der über 18 Jahre alt ist.
Erste Ergebnisse aus früheren Untersuchungen von Kelly Baldwin Heid sind vielversprechend: Über die Hälfte (52%) der Befragten gaben hier an, dass ehrenamtliches Engagement einen positiven Effekt auf ihre psychische Gesundheit hat. 71% sagten, dass das Vorhandensein von Straßenbäumen eine positive Wirkung auf ihre mentale Gesundheit hat. Und 74% sagten, dass die Teilnahme an einer klimafreundlichen Aktivität einen positiven Effekt auf ihre mentale Gesundheit hat. Eine Befragte brachte es folgendermaßen auf den Punkt: "Bäume sind wichtig, nicht nur für die Luft, sondern auch für die Psyche... und für den Verstand. Bäume sind für die Umwelt, für das Klima, für alles."
Projekte wie das "Baumpatenschaftsrezept" sind mehr als nur eine originelle Idee. Sie zeigen, wie Wissenschaft, Kommunen und Einzelpersonen zusammenarbeiten können, um die Gesundheit zu fördern und Städte lebenswerter, grüner und sozialer zu machen. Sie erinnern daran, dass die Gesundheit des Menschen und die Gesundheit der Natur eng miteinander verknüpft sind und dass die Pflege der Umwelt zugleich die Pflege der eigenen Gesundheit bedeuten kann. In einer Welt, in der die Auswirkungen des Klimawandels immer deutlicher werden, könnten solche Konzepte nicht nur die Gesundheitsfürsorge, sondern auch unsere Beziehung zur Natur grundlegend verändern.