Stefan Hasler
In einer Welt, die sich rasant verändert, stehen die darstellenden Künste vor immensen Herausforderungen. Prof. Stefan Hasler, ein Mann, der die Klaviertasten ebenso virtuos beherrscht wie die komplexen Bewegungen der Eurythmie, zeichnet ein Bild dieser Kunstformen, das zwischen existenzieller Bedrohung und inspirierender Neuerfindung oszilliert. Der gebürtige Schweizer war Professor für Eurythmie an der Alanus Hochschule und wirkt nun als Sektionsleiter am Goetheanum sowie im Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die aktuelle Situation der Künste beleuchtet.
Die Kunst in Zeiten der Krise: Ein Weckruf
„Die Corona-Pandemie hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass die Gesellschaft die Kunst nicht als systemrelevant erachtet“, konstatiert Hasler mit einer Nüchternheit, die aufhorchen lässt. „Theater und Konzerthäuser wurden in die gleiche Kategorie eingeordnet wie Vergnügungsstätten – als verzichtbar für das Funktionieren der Gesellschaft“, fasst er die damalige Haltung zusammen. Eine Aussage, die wie ein Paukenschlag wirkt und die Frage aufwirft: Welchen Stellenwert haben die Künste in unserer Gesellschaft wirklich?
Doch Hasler wäre nicht der leidenschaftliche Künstler und Pädagoge, der er ist, wenn er bei dieser düsteren Diagnose stehen bleiben würde. Stattdessen nutzt er sie als Ausgangspunkt für eine tiefgreifende Reflexion über die Rolle und Zukunft der darstellenden Künste.
Die Zahlen sprechen Bände
Hasler präsentiert zunächst alarmierende Statistiken: „In London hat ein Drittel der Musikerinnen und Musiker ihren Beruf aufgegeben, in Berlin ein Viertel – und die meisten von ihnen werden nicht zurückkehren.“ Diese Zahlen sind mehr als nur Statistik – sie erzählen von zerplatzten Träumen, verlorenen Lebenswerken und einer Kunstszene, die um ihr Überleben kämpft.
Aber er wendet den Blick auch auf die Chancen, die in dieser Krise liegen. Er spricht von der „beeindruckenden Entwicklung der Musical-Szene“ und mahnt an, dass in dieser perfektionierten Welt der Musicals kein Raum für individuelle Interpretation bleibt – ein Dilemma, das symptomatisch für die größeren Herausforderungen der Kunstwelt steht.
Bildung und Vermittlung als Schlüssel
Mit der Leidenschaft eines Mannes, der sein Leben der Kunst und der Lehre gewidmet hat, plädiert Hasler für eine Neuausrichtung der künstlerischen Bildung. „Wir stehen vor einem dramatischen Mangel an qualifizierten Lehrkräften“, warnt er und spricht damit ein Problem an, das weit über die Kunstszene hinausreicht.
Seine Lösung klingt ebenso einfach wie herausfordernd: „Der Schlüssel liegt in der konsequenten Förderung junger Talente und künstlerischer Bildungsprojekte.“ Hasler sieht in der Unterstützung der nächsten Generation den Weg zur Wiederbelebung der Künste.
Die Bedeutung der Kunst erschließt sich für Hasler vor allem in ihrer transformativen Kraft. „Kunst ist kein passives Konsumgut“, betont er und plädiert für neue Formen der Vermittlung. Ob Musik zum Mitmachen, Eurythmie für alle oder interaktive Einführungen vor Aufführungen – überall dort, wo Menschen selbst aktiv werden, entfaltet die Kunst ihre eigentliche Wirkung. „Es geht nicht um distanzierten ästhetischen Kunstgenuss“, erklärt er, „sondern um die kleinen, aber bedeutsamen Veränderungen, die Kunst im Menschen bewirkt.“ Erst wenn wir Kunst nicht als etwas Abgehobenes, sondern als transformative Kraft im Alltag begreifen, wird ihre existenzielle Bedeutung wirklich sichtbar. Diese Sichtweise öffnet den Blick für eine Kunst, die nicht nur bestaunt, sondern tatsächlich gelebt wird.
Ein Aufruf zum Handeln
Haslers Worte sind mehr als nur eine Analyse – sie sind ein Aufruf zum Handeln. Er fordert eine Neuausrichtung der Förderstrukturen, eine Stärkung der künstlerischen Bildung und vor allem eine gesellschaftliche Neubewertung der Künste. „Die Förderung des künstlerischen Nachwuchses muss absolute Priorität haben“, betont er und deutet damit auf eine der größten Herausforderungen hin.
Doch bei aller Kritik und Sorge bleibt Hasler optimistisch. Er sieht in der Krise auch eine Chance zur Erneuerung. Seine Vision einer Kunst, die wieder stärker in der Gesellschaft verankert ist, die junge Menschen begeistert und die neue Formen der Partizipation findet, ist ansteckend.
Ein Blick in die Zukunft
Am Ende seines Plädoyers steht nicht Resignation, sondern ein Aufruf zur kreativen Neuerfindung. Hasler sieht die Zukunft der Künste in innovativen Formaten, die die starren Grenzen zwischen Künstlern und Publikum aufbrechen. „Die Zukunft gehört einer Kunst, die Menschen nicht nur als passive Zuschauer, sondern als aktive Teilnehmende begreift“, betont er und eröffnet damit neue Perspektiven für die Zukunft der darstellenden Künste.
Stefan Haslers Ansatz ist mehr als nur eine Bestandsaufnahme – er ist ein Weckruf, eine Inspiration und ein Wegweiser für alle, denen die Zukunft der Künste am Herzen liegt. In einer Zeit, in der die Relevanz der Kunst immer wieder in Frage gestellt wird, erinnert er uns daran, warum wir sie mehr denn je brauchen: als Quelle der Inspiration, als Raum für Begegnung und als Kraft, die uns über uns selbst hinauswachsen lässt.
Während die Herausforderungen gewaltig sind, lässt Haslers Vision keinen Zweifel daran, dass die Künste auch in Zukunft eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft spielen werden – vorausgesetzt, wir sind bereit, für sie zu kämpfen, sie neu zu denken und sie mit der gleichen Leidenschaft zu fördern, mit der Künstler wie Hasler sie leben.